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geschriebene Worte

Tigerperle & Tigerzebra

2 Kurzgeschichten – 2 „Mutmacher“

Booklets können bestellt werden – Lesungen auf Anfrage

Textprobe „Die Tigerperle“

Der Tiger, der nicht wusste, dass er ein Tiger war, lag erschöpft auf dem Boden seines Käfigs. Sein Fell war struppig und übersäht von Wunden und Narben. Kein Wunder, denn in den vergangenen Jahren war er immer wieder gegen die Gitterstäbe seines Gefängnisses angerannt. Aber weder seine Zähne, noch seine Krallen noch seine pure Körperkraft hatten diese bezwingen können. Im Gegenteil. Je mehr er gegen sie anrannte, umso dicker und unüberwindlicher schienen sie zu werden. Nun lag er zermürbt, traurig und entkräftet am Boden – erschöpft und am Ende seiner Weisheit.

Da fiel sein Blick auf einen Löwen, der in einer Ecke seines Käfigs lag und ihn liebevoll aber kopfschüttelnd anschaute. „Was, wie, wo kommst du denn plötzlich her?“ fragte der Tiger den Löwen überrascht. „Ich war schon immer hier, aber du hast mich nie wahrgenommen. Du warst viel zu beschäftigt damit, die Gitterstäbe zu bezwingen“, erklärte der Löwe mit sanfter Stimme. Er schien froh darüber zu sein, dass der Tiger ihn endlich bemerkte. „Und, was machst du hier?“ fragte ihn dieser. „Ich bin hier, um dir etwas zu zeigen“, antwortete der Löwe. Gemächlich stand er auf und ging zu den Stäben. Dort angekommen warf er dem Tiger einen viel sagenden Blick zu und – der Tiger war fassungslos – marschierte  einfach durch die Stäbe hindurch auf die andere Seite des Käfigs.

„Wie, wie… begann dieser stotternd – wie hast du das gemacht?“ „Ganz einfach“, antwortete der Löwe. „Die Stäbe sind eine Illusion, DEINE Illusion. In der Realität sind sie nicht vorhanden. Deshalb existieren sie für mich nicht.“ „Das ist nicht möglich“, entgegnete der Tiger bestimmt. Während er das noch sagte, spazierte der Löwe würdevollen Schrittes zurück in den „Käfig“.

Das muss ein Zaubertrick sein, dachte der Tiger und schien erleichtert über diese Erkenntnis. Denn die Erklärung des Löwen schien ihm doch etwas absonderlich. Waren seine Schrammen nicht sichtbarer Beweis für die Existenz der Gitterstäbe? „Was hast du zu verlieren?“ fragte der Löwe, der offensichtlich Gedanken lesen konnte. „Stell dir einfach vor, die Gitterstäbe wären nur Lichtsäulen und strecke deine Tatze durch sie hindurch.“ Der Tiger überlegte. Vielleicht hatte der Löwe ja Recht, so unwahrscheinlich es auch klang. Vielleicht, das wäre die logische Erklärung, war dies aber nur ein Traum…? Sei´s drum, ein Versuch konnte nicht schaden. Also tat er, wie der Löwe ihm geheißen. Erstaunt zog er seine Tatze zurück – es hatte funktioniert. „Jetzt geh mit deinem ganzen Körper durch die Stäbe“, ermunterte ihn der seltsame Gast.

Der Tiger nahm allen Mut zusammen und setzte zum Sprung an, denn er wollte dieses Experiment schnell hinter sich bringen. Als er mit halbem Körper auf der anderen Seite war, verließ ihn jedoch das Vertrauen. Er blieb zwischen den Stäben stecken. Zu seiner Verwunderung fühlte er keinen Schmerz. Aber die Lage schien aussichtslos, denn es ging weder vor noch zurück. Hilfe suchend rief er nach dem Löwen, der ihn schließlich in diese Lage gebracht hatte „Was nun?“, fragte er mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme. „Entspann dich, lass los“, lautete die Antwort. Gut, dachte der Tiger und ließ sich zurück in den Käfig fallen – dies schien ihm momentan die sicherste Variante zu sein…

Textprobe „Das Tigerzebra“

Mit Bedacht biss Phyllis in den knackigen Apfel. Mmmm, er schmeckte einfach lecker. Hinter ihr vernahm sie ein leises Schnauben. „Ja, ist ja schon gut. Ich weiß, es ist dein Apfel, aber heute habe auch ich Hunger,“ erklärte sie mit einem Lächeln. Vorsichtig teilte sie mit ihren Daumen den Apfel in zwei Teile und zerbrach diese dann in vier kleinere Stücke. So konnte Phyllis sie besser durch die Maschen des Zauns reichen. Dort wartete ihr vierbeiniger Freund schon mit seinem weichen Maul, um die saftigen Obstecken vorsichtig aus den Fingern des Mädchens zu nehmen.

Phyllis, die erst vor wenigen Tagen zehn geworden war, saß auf der Lehne einer Holzbank, denn so konnte sie Itschi, auf diesen Namen hatte sie das seltsam aussehende Tier getauft, besser in seine großen braunen Augen schauen. Itschi war eine Kreuzung zwischen einem Zebra und einem Pferd, deshalb stand unter dem kleinen Schild am Zaun auch das Wort „Zeberoid“. Von seinem Vater hatte es die dunklen, schwarzen Streifen, von seiner Mutter, einem Pferd, die braune Farbe dazwischen. Damit hatte es Ähnlichkeit mit dem Fell eines Tigers. Die anderen Tiere der kleinen Herde sahen aus, wie normale Zebras eben aussehen: weiß mit schwarzen Streifen – oder umgekehrt. Das Zeberoid überragte sie um einige Zentimeter.

Phyllis hatte ihren vierbeinigen Freund vor einem Jahr kennengelernt. Heute feierten sie so etwas wie ein kleines Jubiläum. Eigentlich müssten ihre Eltern auch da sein, denn die hatten ihre Tochter vor zwölf Monaten als Belohnung für eine gute Aufsatznote mit einem Zoobesuch überrascht. „Erinnerst du dich?“, fragte Phyllis das Zeberoid. Das schaute sie mit seinen großen, dunkelbraunen Augen an und nickte mit seinem Kopf, als habe es seine kleine Freundin verstanden.

Damals, es war ein Sonntag, stand plötzlich dieses kleine Mädchen vor dem Maschendraht. Da ist ja ein Tigerzebra hatte es erstaunt ausgerufen und war zu seinem Gehege gerannt. Seine Eltern eilten mit schnellen Schritten zu ihrer Tochter, um sich dieses seltsame Tier ebenfalls anzusehen. Während Phyllis Mutter das Zeberoid einfach „entzückend“ fand, meinte Phyllis Vater mit einem kritischen Unterton: „Das ist ja eine komische  Mischung, halb Pferd, halb Zebra, das gehört eigentlich gar nicht hierher“.

Phyllis schaute ihn irritiert an. Was meinte er damit? Auch ihre Eltern hatten eine unterschiedliche Haut- und Haarfarbe. Und sie hatte von beiden etwas: eine kupferfarbene Haut und blonde Haare. War sie etwa auch eine „komische Mischung“? Als sie noch klein war, hörte sie andere Frauen zu ihrer Mutter sagen, was sie doch für eine „entzückende Tochter“ hätte. Später nahm die Zahl der Leute zu, die sie forschend ansahen. In der Schule war sie eine Außenseiterin. Am Anfang hatte ihr das etwas ausgemacht, aber irgendwann legte sie sich ein dickes Fell zu. Sie flüchtete sich in die Welt der Phantasie, verschlang reihenweise Bücher und liebte die Spaziergänge im großen Park. Der begann gleich am Ende ihrer Straße und grenzte an seinem Ende an den Zoo.

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