Pferde als „Menschenflüsterer“ – absolut ehrlich, spontan, vorurteilsfrei, eindeutig und mit einer großen Portion Empathie!
Kommunikation, das ist eine tägliche Herausforderung, die oft schief läuft – egal mit wem und in welcher Situation. Rhetorik- und NLP-Seminare sind deshalb sehr gefragt. Die Regale der Buchhandlungen sind voll von Ratgebern wie „Erfolgreich verhandeln“ oder „Gewaltfeie Kommunikation“. Eine Regel, formuliert von Paul Watzlawick (Kommunikations-Theoretiker) gilt für alle Modelle: Man kann nicht nicht kommunizieren. Aber, und das ist meine Erkenntnis als Journalistin, Pädagogin, Systemischer Coach und Trainerin: Man sollte immer mit dem Herzen kommunizieren und sich besonders in Konfliktsituationen bewusst auch mal „die Brille“ des Anderen aufsetzen. Wobei Erkenntnis und praktische Umsetzung (leider) nicht automatisch deckungsgleich sind.
Die Augen für diese Grundlagen einer erfolgreichen Kommunikation haben mir Tiere geöffnet, vor allem Pferde. Pferde, mag sich mancher verwundert fragen? Ja, Pferde. Sie haben mich in den vergangenen Jahren bei vielen Coachings und Workshops erfolgreich als Co-Trainer unterstützt. Der Grund scheint im ersten Moment verblüffend: Sie können nicht sprechen! Das erweist sich besonders bei Menschen, die durch Worte verletzt wurden oder sich sprachlich unterlegen fühlen als „Türöffner“. Dabei geht es erst in zweiter Linie um das „Verstehen“ der Prozesse, die in der Begegnung zwischen Mensch und Tier ablaufen. Vorrangig sind das Zulassen und das Wahrnehmen der Emotionen, die dabei sichtbar und erfahrbar werden.
Angst besiegen – Vertrauen aufbauen
Das wurde mir besonders bei den Workshops mit Bewohnerinnen des Frauenhauses Stuttgart deutlich. Unsere Co-Trainer, alles Ponys, bewiesen im Kontakt mit diesen Frauen besonders viel Einfühlungsvermögen. Auch spielte es keine Rolle, ob die Teilnehmerinnen mit den Tieren Deutsch, Arabisch, Türkisch oder in einer anderen Sprache kommunizierten. Tiere hören auf die Sprache des Herzens. Mit dieser Sprache gelingt es, Mauern ab- und neues Vertrauen aufzubauen sowie – dort, wo es auch mal notwendig ist – Grenzen aufzuzeigen, beherzt NEIN zu sagen. Schritt für Schritt, mit Geduld und Zuspruch, wenn die Angst vor der eigenen Courage den nächsten Schritt in der Arbeit mit den Tieren zu boykottieren droht.
Was für die eine Frau eine kleine Herausforderung ist, kann für die nächste schon eine große Mutprobe sein. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass jeder Mensch sein individuelles Schicksal und in der Konsequenz sein individuelles Entwicklungstempo hat. Ich selbst erlebte in meiner Kindheit einen großen Vertrauensverlust – eine Erfahrung, die allerdings nicht mit dem zu vergleichen ist, was manche dieser Frauen durchgemacht haben. Dennoch ermöglichte dies eine Atmosphäre des unausgesprochenen gegenseitigen Verstehens und Akzeptierens. Die lachenden Gesichter der Frauen, die sich am Ende des Tages trauten, sich auf dem Rücken eines Haflingers durch die Reithalle führen zu lassen, erfüllen mich noch immer mit Freude und Dankbarkeit.
Führen und sich führen lassen
Wenn es um das Thema Führungskräfteentwicklung geht, gelten andere Rahmenbedingungen. Die Seminarziele sind klar formuliert – Optimierung der Kommunikation und der Führungskompetenz –, die Pferde übernehmen die Rolle der „Mitarbeiter“. Auch hier gibt es „Aha-Momente“. So nahm ein Vorstandsmitglied einer Bank kurz vor seiner Pensionierung noch mit seiner Führungsmannschaft an einem pferdegestützten Training teil. Wie er selbst erklärte „eher aus Neugierde“. Als er seinen Haflinger durch den aufgebauten Parcours führen sollte, klappte das hervorragend. Einem Impuls folgend präsentierte ich ihm danach einen ganz besonderen vierhufigen „Mitarbeiter“: Einstein, ein Minipferd, aber eines mit großer Persönlichkeit. Der Vorstand marschierte in der gleichen Geschwindigkeit los. Der kleine Hengst wechselte, um mithalten zu können, in den Trab und als das auch nicht so richtig klappte, in den Galopp. Schließlich wurde er so sauer, dass er das „Leittier Mensch“ überholte und sich vor ihm auf die Hinterhufe stellte.
Der Mann war kurz wie vom Donner gerührt. Gewohnt, dass sich alle nach seiner Geschwindigkeit richten, hatte er kein einziges Mal einen Blick nach hinten verschwendet, um zu kontrollieren, ob Einstein ihm überhaupt folgen konnte. Er handelte nicht nach der Regel „der Geführte führt den Führenden“. Sein Selbstverständnis als Führungskraft lautete: Ich bestimme das Tempo; wer nicht mithalten kann, ist für den Job nicht geeignet. Das war sein „blinder Fleck“. Bisher hatte es niemand gewagt ihn darauf hinzuweisen, niemand, außer Einstein. Später, in der Abschlussrunde des Trainings, gab er offen zu: „Frau Walz, wenn Sie versucht hätten mir mit Worten mein Führungsdefizit zu erklären, ich hätte 1000 Gründe genannt, warum das Problem bei dem jeweiligen Mitarbeiter und nicht bei mir liegt. Doch Einstein hat mir die Augen geöffnet.“ Für dieses Statement erhielt er von uns allen einen kräftigen und ehrlichen Applaus. Bei dem kleinen Hengst bedankte er sich mit einer großen Karotte.
Pferde schauen hinter die „Fassade“
Die große Chance, die Tiere uns als Co-Trainer oder Co-Coaches bieten, ist, dass sie uns in der Kommunikation mit ihnen ein unbestechlicher, spontaner und damit authentischen Spiegel sind. Der gesellschaftliche Status, Geld, Geschlecht, Nationalität, rhetorische Finessen interessieren sie nicht. Zwei Eigenschaften sind der Schlüssel, der uns die Tür zu ihrem Wesen öffnet: Respekt und Vertrauen. Und das sind gleichzeitig die Eigenschaften, die wir vor allem von Menschen erwarten, die andere Menschen führen – ob in Firmen, Vereinen, Kirchen oder in der Familie als Vater und Mutter.
Doch was unterscheidet Vertrauen von Respekt? In dem Wort Vertrauen steckt das Wort trauen. Wer im Leben schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht hat oder Schicksalsschläge verkraften musste, der braucht Mut, um einem Anderen – manchmal auch sich selbst und Gott – zu vertrauen, sich ihm anzuvertrauen. Menschen, die Einfühlungsvermögen, Geduld und echtes Interesse zeigen, die ehrlich sind und die Fähigkeit besitzen zuzuhören, sind in diesem Fall Balsam für die verletzten Seelen. Doch selbst wenn ich jemand vertraue bedeutet das nicht automatisch, dass ich mich seiner Führung anvertraue. In der Arbeit mit Pferden erlebe ich immer wieder, dass Teilnehmer und Pferde miteinander angstfrei und vertrauensvoll kommunizieren. Wenn es jedoch darum geht, dass die Tiere den Menschen freiwillig und ohne Hilfsmittel durch den Geschicklichkeitsparcours folgen, bleiben die Pferde oft nach ein paar Schritten stehen. Warum? Die Pferde respektieren diese Personen nicht als „Leithengst“ oder „Leitstute“. Es sind widersprüchliche Kommunikations- und Verhaltenssignale, die den Respekt untergraben und letztendlich auch das Vertrauen in die Führungskompetenz. Insbesondere in Konfliktsituation lassen sich Pferde durch eine vermeintlich souveräne Körperhaltung nicht täuschen.
Potenziale entdecken und wecken
Pferde sind, so das Fazit, sehr feinfühlig, wenn es darum geht, Egoisten und Blender zu entlarven. Aber, sie sind auch die idealen Co-Trainer, wenn es darum geht, menschliche Potenziale zu wecken, „blinde Flecken“ in der eigenen Wahrnehmung sichtbar zu machen, eine authentische Kommunikation zu fördern und das Selbstbewusstsein zu stärken. Mehr noch: In der Arbeit mit verschiedenen Selbsthilfegruppen habe ich immer wieder erlebt, wie es Pferden erstaunlich schnell gelingt, Menschen zu entschleunigen, sie zu erden und gleichzeitig ihre Wahrnehmung zu sensibilisieren – ob beim meditativen Striegeln oder bei einem „sit in“ auf der Koppel. Keine Frage: Smartphones und andere elektronische Medien sind bei solchen Workshops tabu. Es geht auch darum, den Alltag loszulassen, zu sich zu kommen, in sich hineinzuhören, mit sich in einen inneren Dialog zu treten.
Deshalb liegt mir auch das Seminarangebot „AusZeit mit Insight“ am Herzen: Ein Angebot für Kleingruppen, die den Wunsch haben und bereit sind, sich eine Auszeit zu gönnen, um sich neu zu entdecken. Und das ohne Leistungsdruck, spielerisch, mit meditativen Elementen, Begegnungen mit Pferden und Alpakas sowie einem offenen Austausch in einer vertrauensvollen, wertschätzenden Atmosphäre.
Und: Für mich selbst ist es nach wie vor berührend, wenn sich ein fremdes Pferd innerhalb kurzer Zeit und aus eigenem Antrieb dafür entscheidet, mir quer durch einen Geschicklichkeitsparcours zu folgen. Wenn es mich am Schluss sanft mit seinen Nüstern berührt, weiß ich, dass unsere Herzen miteinander „flüstern“. Ich möchte dann die Welt umarmen, doch der Hals des Pferdes reicht auch…